Der Bartgeier

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Vom Aberglauben fast ausgerottet

 

Der Bart­geier ist mit ein­er Span­nweite von fast drei Metern der größte Vogel Europas. Er ist ein hochspezial­isiert­er Aas­fress­er, der sich fast auss­chließlich von Knochen ernährt. Damit erfüllt er eine wichtige Auf­gabe im Ökosys­tem, denn er frisst selb­st jene Dinge, die andere Aas­fress­er übrig lassen. Er bee­in­flusst so die Lebens­be­din­gun­gen ander­er Tiere im gle­ichen Gebi­et pos­i­tiv. Die Men­schen haben das fast zu spät erkan­nt.

Der BartgeierEinst besiedelte der Greifvo­gel nahezu alle südeu­ropäis­chen Gebirge vom Mit­telmeer bis zum Kauka­sus. Im 17. Jahrhun­dert kam jedoch der Aber­glaube auf, der Bart­geier würde Läm­mer oder sog­ar kleine Kinder erbeuten. Grund dafür war ver­mut­lich die rötliche Fär­bung seines Brust­ge­fieders, welch­es für blutver­schmiert gehal­ten wurde. Dass jene Fär­bung durch das Baden in eisenox­id­halti­gen Schlammpfützen entste­ht, war damals nicht bekan­nt.

Der Bart­geier wurde in Europa inten­siv bejagt, sein Ruf als »Läm­mergeier« brachte ihn an den Rand der Aus­rot­tung. Bere­its im Jahr 1855 wurde der let­zte Bart­geier in Deutsch­land geschossen, 1913 der let­zte im ganzen Alpen­raum. Lediglich vier kleine, voneinan­der isolierte Pop­u­la­tio­nen über­lebten in den Pyrenäen, auf Kor­si­ka, Kre­ta und dem griechis­chen Fes­t­land.
Schon 1922 kam die Idee auf, erneut Bart­geier in den Alpen anzusiedeln. Die tat­säch­liche Umset­zung ließ allerd­ings noch über 50 Jahre auf sich warten, denn bish­er waren die Zuchter­folge zu ger­ing und es war zu wenig über das Sozialver­hal­ten und die Geschlechts­bes­tim­mung der Vögel bekan­nt. Erst nach­dem 1973 die Nachzucht im Alpen­zoo Inns­bruck gelang, erschien das Pro­jekt real­isier­bar. Richard Faust, der dama­lige Direk­tor des Zoos Frank­furt, erre­ichte die Vere­ini­gung von 17 europäis­chen Zoos zu einem Zucht­pro­gramm. Bis 2006 stieg die Zahl der beteiligten Tiergärten auf 35. Das Europäis­che Erhal­tungszucht­pro­gramm (EEP) wird bis heute von der »Richard‐Faust‐Zuchtstation« (ehe­mals »Eulen‐ und Greifvo­gelzucht­sta­tion Har­ingsee«) koor­diniert.

Erhaltungszuchtprogramm

Durch Tier­aus­tausch und gezielte Ver­paarun­gen soll die genetis­che Diver­sität der Zoo‐Populationen ein­er vom Ausster­ben bedro­ht­en Art möglichst erhal­ten und der Ein­satz von Wild­fän­gen ver­mieden wer­den. Zusät­zlich kann je nach Sit­u­a­tion eine Wieder­auswilderung im natür­lichen Leben­sraum angestrebt wer­den.

Obwohl das Vorhaben nun endlich ins Rollen kam, kon­nte erst acht Jahre nach dem Zucht­be­ginn von 1978 der erste Bart­geier in den Alpen freige­lassen wer­den. Ab diesem Zeit­punkt wur­den jährlich sechs bis acht junge Bart­geier aus­gewil­dert. Die Auswilderung der Jungvögel ist sowohl organ­isatorisch als auch finanziell sehr aufwendig. Die Kosten für ein einzelnes Tier betra­gen durch­schnit­tlich 65.000 Euro. Das macht bei den 197 freige­lasse­nen Bart­geiern bis zum Jahr 2013 fast 13 Mil­lio­nen Euro.
Für die Auswilderun­gen wur­den Orte aus­gewählt, die sich in Schutzge­bi­eten oder Nation­al­parks befind­en, wie im öster­re­ichis­chen Nation­al­park Hohe Tauern, im Schweiz­erischen Nation­al­park im Engadin, im Bargy‐Massiv in Hochsavoyen in Frankre­ich und im Natur­park Alpi Marit­time in Ital­ien. Daneben wer­den auch im Nation­al­park Mer­can­tour in Frankre­ich, der in Küsten­nähe liegt und damit als Brücke zu der Pop­u­la­tion nach Kor­si­ka dient, Bart­geier aus­gewil­dert.

Der Bartgeier im FlugDie Jungtiere wer­den noch vor dem Erre­ichen der Flugfähigkeit in kün­stlich errichtete Horste aus­ge­set­zt. Hier wer­den sie weit­er­hin gefüt­tert, bis sie aus­fliegen. Das Fut­ter wird dabei über Röhren zu den Vögeln geleit­et, damit sie keinen Kon­takt zu Men­schen haben. Da die Nester in schw­er zugänglichen Bere­ichen liegen, müssen die großen Aas­fress­er von Trägern zu Fuß in Holzk­isten trans­portiert wer­den. Zuvor wird jedem Vogel ein indi­vidu­elles Muster in die Schwung‐ und Schwanzfed­ern geble­icht, sodass die Tiere im Flug genau iden­ti­fiziert wer­den kön­nen. Damit sind die Tiere bis zur ersten Voll­mauser, die im Alter von zwei bis drei Jahren ein­tritt, leicht zu bes­tim­men. Danach kön­nen sie nur noch nach Fed­er­fun­den anhand ihres genetis­chen Fin­ger­ab­drucks bes­timmt wer­den. Da die jun­gen Bart­geier aus­gedehnte Wan­derun­gen im gesamten Alpen­raum unternehmen, ist die Überwachung sehr arbeitsin­ten­siv. Auch Pri­vatleute kön­nen Beobach­tun­gen melden und damit zum Schutz der Tiere beitra­gen. Mit­tler­weile stützen haupt­säch­lich ehre­namtliche Helfer das Mon­i­tor­ing und so gehen pro Jahr rund 30.000 Sich­tun­gen ein.

Elf Jahre nach der ersten Freilas­sung 1986 wurde die erste Frei­land­brut in Hochsavoyen beobachtet und somit der Erfolg des Pro­jek­tes bestätigt. Bis 2013 sind 109 in Frei­heit geborene Bart­geier aus­ge­flo­gen und die Zahl der Frei­land­bruten steigt weit­er an. Nach lan­gen Vor­bere­itun­gen und Phasen, in denen das Pro­jekt keinen Fortschritt zu zeigen schien, hat der Bart­geier in den Alpen seinen Leben­sraum zurücker­obert. Aktuell wer­den die Wieder­an­sied­lun­gen im Alpen­raum zurück­ge­fahren, da sich langsam eine selb­ster­hal­tende Pop­u­la­tion bildet. Damit ist das Pro­jekt jedoch noch lange nicht abgeschlossen, denn als näch­stes ist eine Verbindung der Pop­u­la­tio­nen im Alpen­raum und in den Pyrenäen geplant.

Die Wieder­an­sied­lung des Bart­geiers ist ein Parade­beispiel dafür, was inten­sive Aufk­lärung, Imagekam­pag­nen und Zuchtbe­mühun­gen bewirken kön­nen. Es wird ersichtlich, dass es viel ein­fach­er und gün­stiger ist, Tiere in ihrem Leben­sraum zu schützen, als sie wieder zurück­zubrin­gen.

Autor: Lau­ra E.
Bilder: Lau­ra E.

erschienen in TierZeit Aus­gabe 8
27. April 2014

zum Weit­er­lesen:
TierZeit stellt vor — Bedro­ht: Der Bart­geier

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