Vererbbare Medikamentenunverträglichkeit beim Hund
Beim MDR1‐Defekt handelt es sich um eine vererbbare Genmutation, die zu einer Medikamentenunverträglichkeit führt. Betroffene Hunde reagieren auf üblicherweise harmlose Medikamente wie Wurmmittel mit schweren bis tödlichen Vergiftungserscheinungen. Inzwischen ist es dank eines einfachen Bluttests aber kein Problem mehr, den MDR1‐Status eines Hundes ermitteln zu lassen und entsprechende Ersatzpräparate zu verwenden, die für Hunde mit diesem Defekt unbedenklich sind.
Der MDR1‐Gendefekt ist vererbbar und beeinträchtigt die Schutzfunktion der Blut‐Hirn‐Schranke. Diese stellt eine Barriere zwischen Blutkreislauf und zentralem Nervensystem dar, welche verhindert, dass im Blut zirkulierende schädliche Stoffe wie Krankheitserreger und Toxine ins Gehirn gelangen. Die Barriere besteht vorwiegend aus Zellen am Inneren der Blutgefäße, auf deren Oberfläche Transportproteine die schädlichen Stoffe herausfiltern und in den Blutkreislauf zurückführen. Eines dieser Transportproteine ist das MDR1‐Protein (Multidrug‐Resistance‐Protein 1), welches durch das zugehörige MDR1‐Gen kodiert wird. Ist dieses Gen defekt, kann das MDR1‐Protein nicht richtig gebildet werden – die schädlichen Substanzen dringen ungehindert in das Gehirn, aber auch in andere Organe wie Leber und Nieren, ein. Bei Gabe eines falschen Medikaments kommt es zur Vergiftung, die sich meist durch Erbrechen, Durchfall, Zittern, Desorientiertheit sowie Koordinations‐ und Bewegungsstörungen äußert und tödlich enden kann.
Seit vielen Jahren ist bekannt, dass einige Rassen eine erhöhte Veranlagung besitzen, von dieser Medikamentenunverträglichkeit betroffen zu sein. Im Jahr 2003 begann eine Gruppe der Justus‐Liebig‐Universität in Gießen, diese verstärkte Reaktion zu erforschen. Von diesem Zeitpunkt an hatte das »Kind« einen Namen: MDR1‐Gendefekt. In Gießen wurde außerdem eine Methode entwickelt, mittels Bluttest den MDR1‐Status festzustellen. Es werden drei unterschiedliche Genotypen unterschieden: homozygot (reinerbig), heterozygot (mischerbig) und nicht betroffen. Homozygot bedeutet, das Tier ist von dem Defekt betroffen und kann ihn vererben. Dieser Status wird mit -/‐ gekennzeichnet. Heterozygote Tiere sind Träger des Defekts und können ihn vererben, müssen aber nicht zwangsläufig Symptome zeigen. Dieser Status wird mit +/‐ gekennzeichnet. Nicht betroffene Tiere erhalten den Status +/+, sie können den Defekt nicht vererben.
Einige Züchter lassen ihre Zuchttiere seit Jahren testen, um Verpaarungen mit homozygoten Tieren zu vermeiden. Oft werden auch die Welpen getestet, wenn der Status der Elterntiere unklar oder ein Elterntier heterozygoter Träger ist. Welpenkäufer sollten den MDR1‐Status bei betroffenen Rassen in jedem Fall erfragen.
Betroffene Rassen
Besonders Hütehundrassen sind von diesem Gendefekt betroffen. Dazu zählen vor allem Collies und ihre Variationen wie Lang‐ und Kurzhaarcollies, seltener auch der Border Collie sowie der Bearded Collie. Ebenso tragen der Shetland Sheepdog (Sheltie), der (Miniatur) Australian Shepherd, der Weiße Schweizer Schäferhund, der English Shepherd, der Bobtail (Old English Sheepdog), der Wäller, der Silken Windhound, der Langhaar‐Whippet und der McNab das defekte Gen. Beim Kurzhaarcollie sind 68 Prozent der Hunde betroffen, beim Langhaarcollie 55 bis 57 Prozent. Beim Border Collie sind es »nur« ein bis zwei Prozent. Hütehundmischlinge tragen den Defekt mit einer Wahrscheinlichkeit von sechs bis sieben Prozent, Mischlinge anderer Rassen mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei bis sieben Prozent. Ein MDR1‐Test sollte bei diesen Rassen in jedem Fall erfolgen und der Status dem behandelnden Tierarzt mitgeteilt werden. Hat ein Hund den MDR1‐Status -/‐ ist es wahrscheinlich, dass er auf verschiedene Medikamente mit schweren Nebenwirkungen reagiert. Besonders vom Antiparasitikum Ivermectin ist bekannt, dass es bei betroffenen Hunden zentralnervöse Nebenwirkungen auslösen kann. Glücklicherweise gibt es für die kritischen Arzneistoffe zugelassene Ersatzpräparate, die ein Tierarzt bei MDR1‐betroffenen Hunden einsetzen kann. Abgesehen von der Unverträglichkeit bestimmter Medikamente führen Hunde mit MDR1‐Defekt aber ein ganz normales Leben. Sie weisen weder eine kürzere Lebenserwartung auf, noch sind andere Einschränkungen in Verbindung mit dem Gendefekt bekannt.
Die wichtigsten unverträglichen Wirkstoffe
Besonders kritisch bei MDR1‐Tieren sind die Antiparasitika Ivermectin, Doramectin und Moxidectin sowie das Durchfallmittel Loperamid. Ivermectin – ein Wurmmittel für Pferde – kann bereits bei Aufnahme eines damit versetzten Pferdeapfels gefährlich für einen MDR1‐Hund sein. Eine Liste der kritischen Medikamente ist auf der Homepage der Uniklinik Gießen unter dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie zu finden.
Autor: Cindy H.
Bilder: Katharina K. (Australian Shepherds), Cindy H. (Langhaarcollie)
erschienen in TierZeit Ausgabe 9
24. August 2014