Einsame Nagersenioren

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Nach dem Tod des Partners zur Einzelhaltung verurteilt?

Es ist eine Sit­u­a­tion, in die kein Nager­hal­ter zu kom­men wün­scht: Nach dem Tod des let­zten Artgenossen bleibt ein altes und/oder gesund­heitlich angeschla­genes Tier allein zurück. Was ist nun zu tun? Kann das Nageti­er oder Kan­inchen auf seine let­zten Tage allein gehal­ten wer­den oder ist es rat­sam, sich nach neuen Artgenossen umzuse­hen? Oder soll das Tier in Gesellschaft ver­mit­telt wer­den? Eine Pauscha­lant­wort auf diese Fra­gen ist nicht möglich, aber der vor­liegende Artikel möchte einige Denkanstöße liefern, die bei der Entschei­dung helfen kön­nen. 

Alex F. - Einsame Nagersenioren (Meerschweinchen)Die Einzel­hal­tung von sozialen Tieren gilt als tier­schutzrel­e­vant und ver­stößt in eini­gen Län­dern sog­ar gegen das dort gel­tende Tier­schutzge­setz. Tiere, welche paar­weise oder in Grup­pen gelebt haben, lei­den unter der Einzel­hal­tung, da sie durch die Iso­la­tion gestresst wer­den. Ger­ade bei Beutetieren wie Nagern fehlt der Part­ner, der zeitweilig Aufpass‐ und Schutz­funk­tion übern­immt, damit das Tier die Möglichkeit hat, sich zu entspan­nen. Der fehlende Sozialkon­takt kann zu Langeweile und Ver­hal­tensauf­fäl­ligkeit­en führen: Manche Nag­er begin­nen Stereo­typ­i­en zu entwick­eln, das heißt vere­in­facht, sich ein zwang­haftes und oft wieder­holen­des Ver­hal­tens­muster anzueignen, um Stress abzubauen. Andere Tiere kön­nen aggres­siv oder apathisch wer­den. Eine Zusam­men­führung bedeutet jedoch auch Stress für die Tiere. Viele Nag­er vertei­di­gen ihr Revi­er gegen fremde Artgenossen, sodass die Tiere über einen lan­gen Zeitraum zusam­menge­führt wer­den müssen und während­dessen sehr gestresst sind. Dies wirkt sich auf das Immun­sys­tem aus und kann Krankheit­en begün­sti­gen und Krankheitsver­läufe beschle­u­ni­gen. Grund­sät­zlich ist anzus­treben, dass Tiere bei Zusam­men­führun­gen gesund und fit sind. Bei einem alten und/oder chro­nisch kranken Tier ist diese Bedin­gung wahrlich schw­er zu erre­ichen. Daher sollte abge­wogen wer­den, was das Beste für das Tier ist.

Lei­det das Tier im Moment an ein­er Infek­tion­skrankheit oder erholt sich von ein­er Oper­a­tion, sodass abzuse­hen ist, dass es bald wieder fit ist, kann mit der Zusam­men­führung gewartet wer­den, bis das Tier gene­sen ist. Diese Zeit kann ein Tier­hal­ter sin­nvoll mit der Suche passender Artgenossen und deren Quar­an­täne nutzen. Ist das Tier chro­nisch krank, aber soweit sta­bil, dass es noch deut­lich länger als die voraus­sichtliche Inte­gra­tionszeit leben wird, ist die Zusam­men­führung zumin­d­est einen Ver­such wert. Wichtig ist hier die Wahl der richti­gen Artgenossen: Es bringt einem alten Tier mit kör­per­lich­er Ein­schränkung wenig, wenn ihm ein hyper­ak­tiv­er Jungspund zur Seite gestellt wird. Daher wäre ein ruhigeres, etwas älteres Tier bess­er geeignet. Es kann passieren, dass die Zusam­men­führung zu viel Stress für das alte beziehungsweise kranke Tier bedeutet. Ist dies der Fall, dann sollte der Ver­such abge­brochen wer­den. Wenn es an den Part­nertieren lag, kann der Ver­such unter­nom­men wer­den, etwas Passenderes zu find­en. Es beste­ht aber die Möglichkeit, dass Nag­er im Alter nicht mehr mit Artgenossen zusam­menge­führt wer­den kön­nen. Schlägt die Zusam­men­führung fehl oder ist das Tier krank, dass es das Ende der Zusam­men­führung nicht mehr erleben würde, kommt nur die Einzel­hal­tung in Frage. Einem zutraulichen Tier kann der Men­sch noch Gesellschaft leis­ten, es zum Beispiel bei der Fellpflege unter­stützen und ihm Nähe bieten. Bei scheuen Tieren sollte sich der Hal­ter dem Tier allerd­ings nicht auf­drän­gen.

Anna A. - Einsame Nagersenioren (Degus)Es kommt immer wieder vor, dass sich alte Nag­er nach dem Tod des Part­ners nicht verän­dern und ihr nor­males Ver­hal­ten weit­er­hin zeigen. In solchen Fällen ist die Einzel­hal­tung auf die let­zten paar Tage dur­chaus als im Sinne des Tieres zu akzep­tieren. Jedoch kann es auch vorkom­men, dass das Tier unter der Ein­samkeit lei­det. Dann sollte mit einem Tier­arzt über eine Euthanasie gesprochen wer­den. Manch­mal ist es bess­er, ein Tier, das unter Ein­samkeit lei­det, nicht mehr mit Artgenossen zusam­menge­führt wer­den kann und so mas­siv an Leben­squal­ität einge­büßt hat, san­ft aus der hiesi­gen Welt ent­gleit­en zu lassen, auch wenn es physisch noch einige Zeit hätte leben kön­nen. Ger­ade Hal­ter von Rudeltieren wie Farb­mäusen, Far­brat­ten, Degus, aber auch Kan­inchen und Meer­schweinchen kön­nen diesem Umstand vor­beu­gen, indem sie ihr Rudel vorauss­chauend und alter­struk­turi­ert zusam­menset­zen. So ist die Wahrschein­lichkeit geringer, dass alle Tiere zugle­ich ver­ster­ben und ein Nag­er ein­sam zurück­bleibt. Aber selb­st hier kann das Schick­sal hart zuschla­gen und es muss entsch­ieden wer­den, was nun das Beste für das zurück­ge­bliebene Tier ist.

Gut zu wissen: Nager oder Hasenartige?

Kaum wird in ein­er Pub­lika­tion das Kan­inchen als Nag­er beze­ich­net, geht ein Aufruhr durch die Leser­schaft: Kan­inchen seien Hase­nar­tige, keine Nagetiere. Jedoch haben bei­de Seit­en Recht, es liegt nur ein Missver­ständ­nis vor. Die Säugetierord­nun­gen Roden­tia (Nagetiere) und Lago­mor­pha (Hase­nar­tige) wer­den sys­tem­a­tisch zum Tax­on Glires zusam­menge­fasst, dessen deutsche Beze­ich­nung »Nag­er« ist. Kan­inchen sind also Nag­er, aber keine Nagetiere, wohlge­merkt. Die Ver­wirrung kommt ver­mut­lich von der umgangssprach­lichen Abkürzung für Nagetiere, die gern nur als »Nag­er« beze­ich­net wer­den.

Autor: Alex S.
Bilder: Alex F. (Meer­schweinchen), Anna A. (Degus)

erschienen in TierZeit Aus­gabe 6
11. August 2013

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