Nach dem Tod des Partners zur Einzelhaltung verurteilt?
Es ist eine Situation, in die kein Nagerhalter zu kommen wünscht: Nach dem Tod des letzten Artgenossen bleibt ein altes und/oder gesundheitlich angeschlagenes Tier allein zurück. Was ist nun zu tun? Kann das Nagetier oder Kaninchen auf seine letzten Tage allein gehalten werden oder ist es ratsam, sich nach neuen Artgenossen umzusehen? Oder soll das Tier in Gesellschaft vermittelt werden? Eine Pauschalantwort auf diese Fragen ist nicht möglich, aber der vorliegende Artikel möchte einige Denkanstöße liefern, die bei der Entscheidung helfen können.
Die Einzelhaltung von sozialen Tieren gilt als tierschutzrelevant und verstößt in einigen Ländern sogar gegen das dort geltende Tierschutzgesetz. Tiere, welche paarweise oder in Gruppen gelebt haben, leiden unter der Einzelhaltung, da sie durch die Isolation gestresst werden. Gerade bei Beutetieren wie Nagern fehlt der Partner, der zeitweilig Aufpass‐ und Schutzfunktion übernimmt, damit das Tier die Möglichkeit hat, sich zu entspannen. Der fehlende Sozialkontakt kann zu Langeweile und Verhaltensauffälligkeiten führen: Manche Nager beginnen Stereotypien zu entwickeln, das heißt vereinfacht, sich ein zwanghaftes und oft wiederholendes Verhaltensmuster anzueignen, um Stress abzubauen. Andere Tiere können aggressiv oder apathisch werden. Eine Zusammenführung bedeutet jedoch auch Stress für die Tiere. Viele Nager verteidigen ihr Revier gegen fremde Artgenossen, sodass die Tiere über einen langen Zeitraum zusammengeführt werden müssen und währenddessen sehr gestresst sind. Dies wirkt sich auf das Immunsystem aus und kann Krankheiten begünstigen und Krankheitsverläufe beschleunigen. Grundsätzlich ist anzustreben, dass Tiere bei Zusammenführungen gesund und fit sind. Bei einem alten und/oder chronisch kranken Tier ist diese Bedingung wahrlich schwer zu erreichen. Daher sollte abgewogen werden, was das Beste für das Tier ist.
Leidet das Tier im Moment an einer Infektionskrankheit oder erholt sich von einer Operation, sodass abzusehen ist, dass es bald wieder fit ist, kann mit der Zusammenführung gewartet werden, bis das Tier genesen ist. Diese Zeit kann ein Tierhalter sinnvoll mit der Suche passender Artgenossen und deren Quarantäne nutzen. Ist das Tier chronisch krank, aber soweit stabil, dass es noch deutlich länger als die voraussichtliche Integrationszeit leben wird, ist die Zusammenführung zumindest einen Versuch wert. Wichtig ist hier die Wahl der richtigen Artgenossen: Es bringt einem alten Tier mit körperlicher Einschränkung wenig, wenn ihm ein hyperaktiver Jungspund zur Seite gestellt wird. Daher wäre ein ruhigeres, etwas älteres Tier besser geeignet. Es kann passieren, dass die Zusammenführung zu viel Stress für das alte beziehungsweise kranke Tier bedeutet. Ist dies der Fall, dann sollte der Versuch abgebrochen werden. Wenn es an den Partnertieren lag, kann der Versuch unternommen werden, etwas Passenderes zu finden. Es besteht aber die Möglichkeit, dass Nager im Alter nicht mehr mit Artgenossen zusammengeführt werden können. Schlägt die Zusammenführung fehl oder ist das Tier krank, dass es das Ende der Zusammenführung nicht mehr erleben würde, kommt nur die Einzelhaltung in Frage. Einem zutraulichen Tier kann der Mensch noch Gesellschaft leisten, es zum Beispiel bei der Fellpflege unterstützen und ihm Nähe bieten. Bei scheuen Tieren sollte sich der Halter dem Tier allerdings nicht aufdrängen.
Es kommt immer wieder vor, dass sich alte Nager nach dem Tod des Partners nicht verändern und ihr normales Verhalten weiterhin zeigen. In solchen Fällen ist die Einzelhaltung auf die letzten paar Tage durchaus als im Sinne des Tieres zu akzeptieren. Jedoch kann es auch vorkommen, dass das Tier unter der Einsamkeit leidet. Dann sollte mit einem Tierarzt über eine Euthanasie gesprochen werden. Manchmal ist es besser, ein Tier, das unter Einsamkeit leidet, nicht mehr mit Artgenossen zusammengeführt werden kann und so massiv an Lebensqualität eingebüßt hat, sanft aus der hiesigen Welt entgleiten zu lassen, auch wenn es physisch noch einige Zeit hätte leben können. Gerade Halter von Rudeltieren wie Farbmäusen, Farbratten, Degus, aber auch Kaninchen und Meerschweinchen können diesem Umstand vorbeugen, indem sie ihr Rudel vorausschauend und alterstrukturiert zusammensetzen. So ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass alle Tiere zugleich versterben und ein Nager einsam zurückbleibt. Aber selbst hier kann das Schicksal hart zuschlagen und es muss entschieden werden, was nun das Beste für das zurückgebliebene Tier ist.
Gut zu wissen: Nager oder Hasenartige?
Kaum wird in einer Publikation das Kaninchen als Nager bezeichnet, geht ein Aufruhr durch die Leserschaft: Kaninchen seien Hasenartige, keine Nagetiere. Jedoch haben beide Seiten Recht, es liegt nur ein Missverständnis vor. Die Säugetierordnungen Rodentia (Nagetiere) und Lagomorpha (Hasenartige) werden systematisch zum Taxon Glires zusammengefasst, dessen deutsche Bezeichnung »Nager« ist. Kaninchen sind also Nager, aber keine Nagetiere, wohlgemerkt. Die Verwirrung kommt vermutlich von der umgangssprachlichen Abkürzung für Nagetiere, die gern nur als »Nager« bezeichnet werden.
Autor: Alex S.
Bilder: Alex F. (Meerschweinchen), Anna A. (Degus)
erschienen in TierZeit Ausgabe 6
11. August 2013
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