Von Richtig und Falsch und allem dazwischen
Mongolische Rennmäuse sind dank ihrer Quirligkeit und Unkompliziertheit die am häufigsten gehaltenen Rennmäuse. Als soziale Tiere sollten sie niemals alleine, sondern stets mit einem Partner gehalten werden. Allerdings sind sie sehr territorial und dulden keine fremde Artgenossen in ihrem Revier. Das Zusammenführen zweier sich unbekannter Rennmäuse erfordert daher eine durchdachte Vergesellschaftung, für die es leider keine allgemeine Anleitung gibt.
Es werden zwei Arten von Vergesellschaftungen unterschieden, die im Detail jeweils anders durchgeführt werden. Eine ist der sofortige Direktkontakt, bei dem die Tiere vorher nicht aneinander gewöhnt werden. Diese Methode sollte nur von sehr erfahrenen Vergesellschaftern durchgeführt werden, da es hier unheimlich wichtig ist, das Sozialverhalten richtig deuten und bei Bedarf eingreifen zu können. Bei adulten Rennmäusen ist von dieser Methode abzusehen, die Tiere würden die andere Maus aufgrund des fremden Geruchs als Gegner wahrnehmen und bekämpfen. Allenfalls bei Jungtieren ist ein positiver Ausgang einer Direktvergesellschaftung möglich, da diese noch keinen sehr ausgeprägten Eigengeruch haben.
Die sicherere Art zu vergesellschaften ist die Trenngittermethode. Dabei wird ein Gehege durch ein Gitter in zwei Hälften getrennt und jede der Mäuse bezieht eine der Seiten. In regelmäßigem Abstand von ein bis zwei Tagen werden die Seiten getauscht. Der Sinn dieser Methode ist, die Mäuse bereits vor dem Direktkontakt an den Geruch des jeweils anderen zu gewöhnen. Es gibt allerdings verschiedene Auffassungen, wie die Trenngittermethode am besten durchgeführt wird. Im Folgenden wird sie so vorgestellt, wie ich sie oftmals erfolgreich eingesetzt habe.
Ein Diskussionspunkt ist der den Tieren zustehende Platz. Allgemein wird dazu geraten, Vergesellschaftungsgehege deutlich unter dem Mindestmaß für die normale Haltung von einem halben Quadratmeter zu benutzen. Dabei steht den Tieren nur die Fläche eines DIN‐A4‐Blattes oder gar noch weniger zur Verfügung. Auf diesem Raum sitzen sie für mindestens einige Tage und haben dazu keine Beschäftigungsmöglichkeiten, denn für diese ist kaum Platz. Häufig wird von Einrichtungsgegenständen sogar abgeraten. Das geringe Platzangebot und die fehlende Einrichtung werden damit gerechtfertigt, dass die Mäuse sich miteinander beschäftigen sollen. Sie sollen keine Möglichkeit haben, sich voreinander zu verstecken oder sich vom anderen abzuwenden. Tatsächlich scheinen erfolgreiche Vergesellschaftungen diese Argumentation zu bestärken. Gegenteilige Versuche mit einem großen Platzangebot deutlich über dem Mindestmaß und mit Versteck‐ sowie Beschäftigungsmöglichkeiten zeigen jedoch ebenfalls Erfolge. Ist es überhaupt wichtig, dass die Mäuse permanent aufeinandersitzen, ohne sich auch mal verkriechen zu können?
Nein. Ganz im Gegenteil ist es sogar eher förderlich, wenn die Tiere sich bewegen und beschäftigen können, da sie so den Stress, dem sie durch ein fremdes Tier in ihrer Nähe ausgesetzt sind, abbauen können. Akuter Platzmangel und die Schutzlosigkeit durch einen fehlenden Unterschlupf stressen die Tiere und sind zu vermeiden. Zudem sind Rennmäuse soziale Tiere und suchen von sich aus den Kontakt zum anderen, auch wenn die Möglichkeit eines Rückzugs gegeben ist. Einrichtungsgegenstände haben während der Zusammenführung zusätzlich den unleugbaren Vorteil, dass die Mäuse sie intensiv zum Markieren nutzen. Das gilt vor allem für das bewohnte Versteck und für Sandbäder. Beim Seitentausch kann die jeweils andere Maus den Geruch so besser aufnehmen, die Gerüche vermischen sich schneller und ein gemeinsamer Gruppengeruch kann leichter ausgebildet werden.
Die Dauer der Trenngitterphase ist individuell. Sie sollte mindestens ein paar Tage und maximal zwei Wochen betragen. Die Seiten werden in dieser Zeit etwa alle zwei Tage gewechselt. Typisches kommunikatives Verhalten am Trenngitter sind schnuppernde Kontakte, Klopfen mit den Hinterpfoten, das Zukneifen der Augen, mitunter auch Zukehren der Breitseite und gesträubtes Fell. Gemeinsames Fressen am Gitter und die Übernahme des Nestes der anderen Maus nach dem Seitentausch sind gute Zeichen, beides muss aber nicht zwangsläufig eintreten. Versuchte Beißereien durch das Gitter oder dauerhaftes Abkehren vom anderen sind eher negativ zu deuten. Mäuse, die sich bereits kennen und nach einem Streit oder einem fehlgeschlagenen ersten Vergesellschaftungsversuch wiedervergesellschaftet werden sollen, zeigen ein solches Verhalten eher als Mäuse, die einander komplett fremd sind.
Nach der Trenngitterphase dürfen die Mäuse zusammengelassen werden. Da es dabei fast immer zu mehr oder weniger ausgeprägten Rangeleien kommt, muss dieser Vorgang unbedingt gut beobachtet werden. Für den Notfall sollten ein Handtuch und ein fester Handschuh bereitliegen, falls die Mäuse sich verbeißen und getrennt werden müssen. Für den ersten Direktkontakt kann beispielsweise eine Transportbox gewählt werden, in der die Tiere zwar den Platz haben, sich auch ein paar Schritte voneinander zu entfernen, in der sie sich aber nicht in aufhetzenden Jagden verlieren können. Die stellenweise empfohlene Badewanne ist als Zusammenführungsort ungeeignet, da hier zum einen zu viel Platz zum Jagen gegeben wird und die Mäuse zum anderen auf der glatten Oberfläche kaum Halt finden.
Entgegen weitläufiger Meinungen muss der Boden, auf dem die Mäuse zusammentreffen, nicht zwingend neutral sein. Bei friedlichen Trenngitterphasen können auch Einstreu und somit die Gerüche beider Mäuse verwendet werden.
Die Klärung der Rangordnung beginnt meist mit abwartenden Schnupperkontakten, bei denen beide Mäuse regungslos voreinander verharren. Darauf aufbauend testen sie, wer der Stärkere ist, indem sie sich gegeneinander lehnen und sich gegenseitig wegdrücken. Daraus kann auch ein Im‐Kreis‐Schubsen entstehen, was durchaus sehr hektisch werden kann. Häufig wird eine Maus nach unten gedrückt und dort einen Moment festgehalten. Die Rangeleien können von lautem Fiepsen begleitet sein. Diese Streitereien wechseln nicht selten mit ruhigen Phasen, in denen die Mäuse einander putzen oder miteinander kuscheln. Höchste Vorsicht ist jedoch geboten, wenn eine Maus auf den Rücken geworfen wird. Daraus entstehen dann oft bedrohliche Kämpfe, in denen es zu ernsten Bisswunden kommen kann. Bildet sich ein solches Beißknäul, ist ein sofortiges Eingreifen seitens des Halters und eine Trennung der Mäuse vonnöten. Wie die Mäuse sich verhalten, ist vor allem von den Charakteren abhängig. Je nachdem ob die Mäuse dominant oder zurückhaltend, aufdringlich oder ängstlich sind, kann eine Vergesellschaftung von längeren Streitereien geprägt sein oder auch sehr friedlich verlaufen. Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle, Streitigkeiten treten meist unabhängig davon auf.
War der erste Direktkontakt erfolgreich und die Mäuse sind über einen längeren Zeitraum hinweg friedlich, können sie in das Gehege umziehen. Es ist ratsam, dieses zunächst noch stark zu verkleinern und erst nach und nach zu erweitern. Die Einrichtung sollte erst allmählich wieder angeboten werden. Ein plötzliches großes Platzangebot oder zu viele neue Eindrücke durch Gegenstände können die zarten Bande zwischen den Mäusen gefährden, sodass hier eher langsam vorzugehen ist. Treten Jagereien oder Schubsereien auf, sollte der momentane Zustand so lange gehalten werden, bis die Mäuse sich wieder beruhigt haben. Im Zweifelsfall muss der ausschlaggebende Schritt rückgängig gemacht und zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden.
Entgegen häufiger Gerüchte sind Mongolische Rennmäuse nicht besonders schwer zu vergesellschaften, der Vorgang ist nur ziemlich zeitintensiv. Das Klären der Rangordnung sieht nicht selten ziemlich heftig aus, es gelingen aber deutlich mehr Versuche, als dass sie scheitern. Selbst erwachsene Mäuse, die teilweise als vergesellschaftungsunfähig angepriesen werden, lassen sich oft problemlos mit neuen Partnermäusen zusammenführen. Vergesellschaftungen mit mindestens einem Jungtier sind in aller Regel sehr einfach und werden deshalb häufig empfohlen – allerdings wird hier kaum erwähnt, dass die Konstellation mit einem Jungtier ein größeres Risikopotenzial birgt, als zwei adulte Tiere. Diese klären die Rangfolge innerhalb der ersten Tage und bei der Entscheidung bleibt es dann meist auch. Jungtiere kommen nach einigen Wochen, häufig mit etwa sechs Monaten, in eine Art Flegelphase, in der sie ihre Grenzen neu austesten. Akzeptiert die Partnermaus einen Machtwechsel nicht, kann es zu handfesten Streitereien kommen. Mitunter sind dann Maßnahmen wie eine vorrübergehende Verkleinerung der Grundfläche oder das Herausnehmen einiger Gegenstände nötig. Auf keinen Fall sollte eine Rennmaus alleine bleiben, weil sie als nicht vergesellschaftungsfähig gilt – es gibt für jeden Topf ein Deckelchen!
Autor: Laura E.
Bilder: Laura E.
erschienen in TierZeit – Ausgabe 12
13. Dezember 2015