Aktive Rattenhilfe im Nordosten von Nordrhein‐Westfalen
Die Notrattenhilfe Bielefeld & Umgebung ist ein ehrenamtliches Projekt mit den Zielen, über Ratten und deren artgerechte Haltung aufzuklären, eine positive Einstellung zu den Nagern zu fördern und ihre Vermittlung zu unterstützen. Die Mitglieder der Notrattenhilfe nehmen als Pflegestellen regelmäßig Ratten auf und engagieren sich in Tierheimen, Rattenforen sowie über private Kontakte.
Ganz offiziell gibt es die Notrattenhilfe Bielefeld seit September 2011, aber bereits vorher gab es in Bielefeld Hilfe für Notfallratten. Als ich 2007 meine ersten Ratten – übrig gebliebene Futterratten – aus einer Wildtierhilfe holte, gab es einen unregelmäßigen Rattenstammtisch und ein paar Bielefelder, die die Ratten des örtlichen Tierheims sporadisch in einem Rattenforum posteten.
Durch die eigenen Rattenaufnahmen kam ich mit Notfallvermittlern und deren Arbeit in Kontakt und rutschte dadurch, mit der Zeit, auch in die Rattenvermittlung: Übernahme von einzelnen Tieren, Problemratten und Mitwirkung an der Organisation des Stammtischs. Viele der Leute, die anfangs am aktivsten waren, zogen sich zurück, weil sich beispielsweise die Lebensumstände änderten. So übernahm ich immer mehr Aufgaben.
Was also eher zufällig und nach und nach begann, wurde ab 2010 zur Regelmäßigkeit und brauchte einen Namen: Die Mitarbeiter des Tierheims Bielefeld erzählten schon länger, die Leute, die gelegentlich nach den Ratten sahen, seien von der Notrattenhilfe. Daher lag der Name sehr nahe: Notrattenhilfe Bielefeld & Umgebung.
Was die Umgebung angeht, sehen wir plus/minus 50 Klimometer Umkreis als unser «Revier» und unseren Zuständigkeitsbereich an. Diese Grenzen sind nicht fest; immer abhängig von der Anfrage beziehungsweise dem Notfall, mit dem wir zu tun haben und ob in die jeweilige Richtung eine andere Rattenhilfe aktiv ist oder ob dort »Niemandsland« ist.
Pflegestellen und Selbsthilfe
Wir arbeiten auf Basis von Pflegestellen: Aktuell sind wir sechs Pflegestellen mit recht unterschiedlichen Kapazitäten. Allerdings ist die Arbeit absolut freiwillig und ehrenamtlich. Wenn jemand keine Zeit oder keinen Platz hat, Ratten aufzunehmen, dann können wir dort auch keine Ratten in Pflege nehmen. Die Hilfe für Ratten ist ein intensives Hobby und es soll immer auch Spaß machen.
Weil unsere Kapazitäten begrenzt sind, geben wir immer zuerst Hilfe zur Selbsthilfe: Wenn uns jemand anspricht, dass er Ratten abzugeben hat, versuchen wir wann immer möglich und es die Haltungsbedingungen zulassen, die Ratten dort im angestammten Zuhause zu belassen und Vermittlungshilfe zu leisten; wir schreiben die Ratten auf unserer Homepage sowie in Rattenforen aus und hören uns nach Plätzen um. Das erspart zudem den Ratten einen zusätzlichen Umzug in eine Pflegestelle und die Besitzer sehen, dass Vermittlung nicht einfache, schnelle Abgabe heißt, sondern Geduld, Zeit und Arbeit erfordert.
Hilfe für Tierheime
Des Weiteren betreuen wir die Tierheime der Umgebung, in unterschiedlicher Intensität. Zu einigen Tierheimen ist der Kontakt sehr eng und wir erfahren zeitnah, wenn Ratten abgegeben oder vermittelt wurden. Teilweise werden Interessenten gebeten, zuerst mit uns Kontakt aufzunehmen. Sprich: Wir checken telefonisch die Haltungsbedingungen ab und helfen so dem Tierheim bei der Einschätzung der neuen Besitzer. Außerdem übernehmen wir für das Tierheim Bielefeld die Nachkontrolle für vermittelte Ratten.
Bei enger Zusammenarbeit fragen die Tierheime uns regelmäßig, ob wir Ratten aufnehmen können, wie Einzeltiere, errankte oder scheue Ratten oder auch Muttertiere mit ihren Jungen– im Grunde alles, was intensivere Betreuung braucht. Aber auch wir können diese Tierheime fragen, ob sie beispielsweise bereit wären aus einem Notfall, den wir betreuen, Ratten aufzunehmen.
Einige kleinere Tierheime haben selbst sehr wenig Platz für Kleintiere und verweisen mittlerweile direkt an uns, wenn sich jemand mit Ratten bei ihnen meldet. Wieder andere Tierheime haben bisher eher wenig Kontakt zu uns, sodass wir die Mitarbeiter nicht näher kennen. Hier fragen wir hin und wieder telefonisch an, ob Ratten da sind – was jedoch selten der Fall ist. Insgesamt ist noch viel Arbeit zu leisten.
Die Tierheime, mit denen wir mittlerweile eine wie oben genannte Zusammenarbeit aufgebaut haben, nehmen das sehr gut an, weil sie merken, dass sie Ratten dadurch deutlich schneller vermitteln. Etliche Tierheime sehen – verständlicherweise – nur ihren eigenen Rattenbestand. Sie lernen zunehmend zu schätzen, dass wir die Region in rund 50 Kilometern Umkreis überblicken und passende Tiere ebenso wie Halter weiterempfehlen können.
Erfolge und neue Ziele
Mittlerweile kommen bei den Ratten, von denen wir erfahren und die wir auf unsere Vermittlungsliste stellen, durchschnittlich über 70 Prozent der Vermittlungen durch die Notrattenhilfe zustande – sei es durch Vermittlung direkt aus unseren Pflegestellen oder weil wir den Kontakt zwischen Interessenten und Tierheimen oder Privatleuten herstellen können, beispielsweise über unsere Webseite, E‐Mail‐Kontakte, Telefonate oder persönliche Kontakte.
Es gibt allerdings auch immer wieder Tiere, die nicht vermittelt werden können – sei es aufgrund von Krankheit oder weil sich keine Interessenten finden. Diese Tiere können vor allem dank finanzieller Unterstützung durch Paten als Dauerpflegetiere in den Pflegestellen ihren Lebensabend verbringen.
Neben der «regulären» Vermittlungsarbeit versuchen wir, unsere Schwerpunkte dort zu setzen, wo wir noch den meisten Bedarf sehen: So fördern wir besonders die Vermittlung von Rattenböcken, lehnen Kastrationen ohne triftigen Grund (hormonell bedingte Aggression oder Krankheiten wie Hodentumore) ab und konnten schon etliche Neurattenhalter von der Haltung unkastrierter Böcke überzeugen, was wiederum den Grundstein für die zukünftige Entwicklung der Böckevermittlung in der Region ist. In den letzten Jahren machte der Anteil an unkastrierten Böcken in der Vermittlung unserer Region zwischen 35 und 40 Prozent aus – Tendenz steigend!
Unser Solo‐Projekt, inspiriert durch vergleichbare Projekte bei anderen Kleintieren, zielt darauf ab, Einzelböcken wieder zu Gesellschaft zu verhelfen: Sie haben es oftmals schwerer und nicht selten wird bei ein paar Schwierigkeiten sehr schnell der Ruf nach Kastration laut. Wir versuchen sie möglichst als Vollböcke zu integrieren; entweder in unsere eigenen Rudel oder zueinander, damit sie während der Vermittlungszeit nicht alleine sitzen und später gemeinsam ein neues Zuhause finden können.
Ein paar Vermittlungszahlen unserer Pflegestellen (Stand: 18.11.2015)
Jahr | Aufgenommene Ratten | Vermittelte Ratten |
2008 – 2011 | 14 | 14 |
2012 | 11 | 11 |
2013 | 73 | 55 |
2014 | 110 | 100 |
2015 | 129 | 116 |
Summe | 337 | 296 |
Happy End für vier Einzelböcke
Im Frühjahr/Sommer 2014 kamen nacheinander vier Einzelböcke zu uns, die wir im Rahmen unseres Solo‐Projektes zueinander integrierten. Zuerst meldete sich im März das Tierheim Gütersloh bei uns, dass ein sehr scheuer Einzel‐Albino bei ihnen abgegeben worden war. Das recht kleine Tierheim hat wenig Platz für Kleintiere und gibt Ratten in der Regel umgehend an uns weiter. Einen Monat später folgte über Privat aus schlechter Haltung aus Paderborn ein recht großer Agouti Hooded Bock mit gesundem Selbstbewusstsein. Im April/Mai wurden diese beiden Einzelböcke zueinander integriert. Da der Albino den Agouti recht schnell als Chef akzeptierte, verliefen die Treffen reibungslos.
Ein Notfall mit einer Mama und ihren Babys sowie einem nun separat gehaltenen Albino‐Einzelbock als Papa dazu folgte im Juni. Ein Katzenverein hatte die Tiere aus schlechter Haltung geholt und leitete den Notfall an uns weiter. Das Quartett vervollständigte im Juli ein Black Hooded Bock, der einzeln im Tierheim Bielefeld abgegeben worden war. Auch bei dieser Integration verlief alles recht problemlos und keiner machte großartig Wirbel. Nach der Integration waren die Vier eine tolle Truppe! Nur ein endgültiges Zuhause war damals noch immer nicht in Sicht – bis sich im Dezember Lina B. bei uns meldete, die zwei junge Böcke als Verstärkung für ihr Rudel suchte und sich in die vier ehemaligen Einzelböcke verliebte (siehe Kasten nächste Seite).
Diese Geschichte ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen wir Ratten zu einem besseren Leben verhelfen konnten. Es war und ist viel Arbeit, die hinter der Notrattenhilfe steckt, aber in die Augen einer zufriedenen Ratte zu schauen, die ihre traurige Vergangenheit hinter sich lassen konnte, bestätigt uns immer aufs Neue unsere geleistete Arbeit.
»Wir haben uns einfach gesucht und gefunden.«Lina B. über ihre Entscheidung, vier ehemalige Einzelböcke der Notrattenhilfe Bielefeld und Umgebung zu übernehmen Als langjährige Rattenhalterin habe ich die Homepage der Bielefelder Notrattenhilfe unter meinen Lesezeichen und verfolge regelmäßig, wer in der Umgebung ein neues Zuhause sucht. Ich hielt Ausschau nach zwei Babyrattenjungs als Verstärkung für mein Rudel und schon bald wurde ich fündig. So meldete ich im Dezember 2014 meinen Besuch in der Pflegestelle an, wo aktuell süße kleine Babys auf ein neues Zuhause warteten. Tanja stellte mir die kleinen Zwerge vor. Ich entschied mich schnell für zwei kleine, bunte Welpen und konnte sie auch gleich reservieren. Eigentlich war nun alles erledigt. Natürlich wollte ich aber auch noch die anderen Ratten von Tanja kennenlernen. Und so standen wir vor einem Käfig mit vier ausgewachsenen Rattenböcken. Zwei Albinojungs mit wundervollen Erdbeeraugen – einer groß und stattlich, der andere eher zarter Statur und mit einem trüben Auge – teilten sich ihr Zuhause auf Zeit mit einem quirligen schwarz‐weißen Herren und einem Riesenrattentier. Der große weiß‐braune Bock hatte sofort meine volle Aufmerksamkeit. Eine wirklich imposante Rattenerscheinung. Als Tanja berichtete, dass diese vier Jungs nun schon sehr lange auf der Suche nach einem Zuhause waren, machte mich das sehr betroffen. Die Vier präsentierten sich mir als super aufgeschlossene, zahme und nette Truppe. Seidiges Fell, runde Knopfaugen und jeder auf seine Art ganz besonders, einzigartig und liebenswert.
In den nächsten Tagen richtete ich voller Vorfreude den Käfig für die neuen Mitbewohner ein und endlich war es dann soweit: Ich durfte meine Burschen abholen. Der Einzug der Jungs war völlig unspektakulär. Es war so, als seien sie schon immer da gewesen. Wir haben uns einfach gesucht und gefunden. Die Tiere sind, wie beschrieben, einfach nur lieb und freundlich. Das Zusammenleben mit ihnen bereitet mir jeden Tag große Freude. Es ist ein sehr schönes Gefühl, jeden Tag mit purer Begeisterung empfangen zu werden, wenn die Fütterungszeit gekommen ist und der Auslauf ansteht. |
Autor: Tanja M.
von der Notrattenhilfe Bielefeld & Umgebung
Bilder: Notrattenhilfe Bielefeld & Umgebung
erschienen in TierZeit – Ausgabe 12
13. Dezember 2015