Ökosysteme

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Das empfindliche Gleichgewicht

 

Die Erde lebt: Jede Pflanze, jedes Tier, jedes Bak­teri­um und jed­er Pilz erfüllt eine Auf­gabe in einem empfind­lichen Gle­ichgewicht, das wir unsere Umwelt nen­nen. Der gesamte Globus teilt sich dabei in ver­schiedene regionale Ökosys­teme, die eine indi­vidu­elle Zusam­menset­zung aus Pflanzen und Tieren aufweisen, welche sich im Lauf der Zeit per­fekt aufeinan­der einge­spielt haben. Doch was passiert, wenn das Gle­ichgewicht gestört wird?

Das Ökosystem

Alex S - Ökosysteme (1)Der Biologe ver­ste­ht unter einem Ökosys­tem das »Wirkungs­ge­füge zwis­chen ver­schiede­nen Organ­is­me­narten und ihrem Leben­sraum« (Wehn­er). Vere­in­facht gesagt ist es die Verbindung zwis­chen den Lebe­we­sen untere­inan­der und zu ihrer unbelebten Umwelt. Zu dieser gehören neben dem Kli­ma auch die Bodenbeschaf­fen­heit und -zusam­menset­zung. Durch die ver­schiede­nen Kli­ma­zo­nen und die vielfälti­gen land­schaftlichen Gegeben­heit­en ist die Anzahl an Ökosys­te­men auf unserem Plan­eten enorm. Tro­pis­che Regen­wälder bilden Ökosys­teme – genau­so wie Tun­dren, Wüsten oder die ein­heimis­chen Wälder. Jedes Gebi­et der Erde lebt, von den trock­en­sten Wüsten bis in die tief­sten Meere. Die Bewohn­er und ihre unbelebte Umwelt bee­in­flussen sich dabei gegen­seit­ig und tra­gen zur Entwick­lung des jew­eils anderen bei.

Die Nahrungskette

Die auf­fäl­lig­ste Verbindung der Lebe­we­sen untere­inan­der ist die soge­nan­nte Nahrungs­kette. Am Anfang ein­er Nahrungs­kette ste­hen immer Pro­duzen­ten, in der Regel grüne Pflanzen, die aus Nährstof­fen der unbelebten Natur unter Ein­wirkung von Son­nen­licht organ­is­ches Mate­r­i­al her­stellen. Sie wer­den von Pflanzen­fressern, Kon­sumenten erster Ord­nung, gefressen. Dieser wird dann von einem Kon­sumenten zweit­er Ord­nung erbeutet und gefressen. Je mehr Stufen zwis­chen Pflanze und dem jew­eili­gen Kon­sumenten ste­hen, desto höher ist die Ord­nung des Kon­sumenten. Die Über­reste von Lebe­we­sen, die nicht von Kon­sumenten aufgenom­men wer­den, sowie Kot, Fell und Ähn­lich­es, wer­den von Destru­enten wieder in anor­gan­is­che Materie umge­wan­delt. Diese ste­ht erneut den Pro­duzen­ten zur Ver­fü­gung.

Das Sys­tem der Nahrungs­kette ist für lin­eare Beziehun­gen ent­wor­fen wor­den, die Real­ität ist aber viel kom­plex­er. Beispiel­sweise kann ein Alles­fress­er, der sowohl Pflanzen­ma­te­r­i­al als auch Tiere frisst, nicht ein­deutig als Kon­sument erster oder zweit­er Ord­nung beze­ich­net wer­den. Tat­säch­lich han­delt es sich eher um ein Nahrungsnetz, das schlussendlich aus diversen Nahrungs­ket­ten beste­ht.

Der direkte Einfluss des Menschen

Die dem Men­schen wohl bekan­nteste Gefahr für ein Ökosys­tem ist jene, die er direkt selb­st ver­schuldet: die Umweltver­schmutzung. Müll, giftige Abfall­stoffe und Smog belas­ten die Okösys­teme, machen sie für viele Tier‐ und Pflanzenarten unbe­wohn­bar und zer­stören damit oft langfristig das Gle­ichgewicht. Der Ein­fluss der Schä­den auf die Tier‐ und Pflanzen­welt ist sehr unter­schiedlich. So haben beispiel­sweise Stu­di­en gezeigt, dass Voge­larten, die im radioak­tiv hoch ver­strahlten Gebi­et um Tsch­er­nobyl leben, größer sind und weniger Erbgutschä­den aufweisen als andere Lebe­we­sen. Es wird ein Zusam­men­hang mit der erhöht­en Glutathion‐Konzentration im Blut der Vögel ver­mutet, die vor Strahlen­schä­den schützen soll. Dies ist ein erstaunlich­es Ergeb­nis der natür­lichen Selek­tion. Schwal­ben kon­nten sich dage­gen noch nicht so gut anpassen: Selb­st 28 Jahre nach dem Unglück schlüpfen noch immer miss­ge­bildete Küken.

Der Anteil des Men­schen an der Zer­störung von Ökosys­te­men begin­nt schon im Kleinen. Während viele Gemein­den sich daher bemühen, ihre Bäche und Flüsse zu rena­turi­eren, Wild­quer­wege zu erhal­ten und die Natur in ihrer Städtepla­nung zu berück­sichti­gen, ist nicht zu leug­nen, dass die Natur durch ihre Erschließung vom Men­schen geschädigt wird. Allein in Deutsch­land befind­en sich gemäß bun­de­sein­heitlich­er Inven­tarisierung von Arten und Leben­sräu­men nur 28 Prozent der unter­sucht­en Leben­sräume in einem gün­sti­gen Zus­tand.

Alex S - Ökosysteme (2)Viel Schaden richtet der Men­sch auch weit ent­fer­nt von der eige­nen Haustür an. Durch unseren mod­er­nen Lebensstil ver­brauchen wir enorme Men­gen Energie, die zu einem großen Teil aus fos­silen Brennstof­fen gewon­nen wird. Dazu kom­men die Treib­haus­gase­mis­sio­nen von Indus­trie und Trans­port sowie unter anderem von Rindern, die der Fleisch‐ und Milch­pro­duk­tion dienen. Eine Kuh alleine stellt kein Prob­lem dar, die Masse macht es. Ein in Europa ver­speistes Kilo­gramm Rind­fleisch entspricht je nach Herkun­ft und Hal­tungsart der Tiere 11,5 bis 28,5 Kilo­gramm CO2, ein Kilo­gramm Schweine­fleisch aus kon­ven­tioneller Hal­tung 4,5 Kilo­gramm CO2. Zum Ver­gle­ich: Ein durch­schnit­tlich­er, ben­z­in­be­trieben­er Klein­wa­gen gibt 14,2 Kilo­gramm auf 100 Kilo­me­tern Fahrstrecke ab, also in etwa die gle­iche Menge. 2011 wur­den allein in der Schweiz 199 820 Ton­nen Schweine­fleisch und 90 556 Ton­nen Rind­fleisch verzehrt. Das ergibt, aus­ge­hend vom niedrig­sten CO2‐Wert für Rind­fleisch, 1 940 584 Ton­nen CO2 des weltweit­en Ausstoßes von 49 Giga­ton­nen – allein für den Fleis­chkon­sum eines kleinen, europäis­chen Lan­des mit knapp 8 Mil­lio­nen Ein­wohn­ern. Kalbfleisch, Geflügel und das Fleisch ander­er Arten wurde nicht mit ein­berech­net.

Außer­dem ist die Ernährung dieser Rin­der­massen mit soja­haltigem Kraft­fut­ter für die Zer­störung der Regen­wälder mitver­ant­wortlich: Für den Sojaan­bau wer­den Regen­wald­flächen abge­holzt. 80 Prozent der weltweit­en Sojaernte wird zu Fut­ter­mit­teln ver­ar­beit­et, 15 Prozent zu Speiseöl und nur 3 Prozent zu Lebens­mit­teln wie Tofu oder Sojadrinks. Es wird geschätzt, dass bis 2020 die fünf­fache Fläche der Schweiz an Regen­wald und Savanne für die weltweite Sojapro­duk­tion weichen muss.

Zusät­zlich beschle­u­ni­gen der Markt für tro­pis­ches Holz, die Plan­ta­gen­wirtschaft oder ein­fach nur die Platzschaf­fung für eine wach­sende Bevölkerung die Regen­waldz­er­störung. Es wird geschätzt, dass pro Minute eine Fläche von 35 Fußballfeldern an Regen­wald abge­holzt wird. Damit zer­stört der Men­sch nicht nur Ökosys­teme in den arten­re­ich­sten Gebi­eten der Erde, er trägt außer­dem noch zum Kli­mawan­del bei. Schließlich ent­nehmen die »grü­nen Lun­gen« unseres Plan­eten der Atmo­sphäre das Treib­haus­gas Kohlen­stoff­diox­id. Wir müssen uns bewusst sein, dass viele unser­er Entschei­dun­gen, vor allem die, die den Kon­sum betr­e­f­fen, weitre­ichende Fol­gen haben – auch am anderen Ende der Welt. Wenn wir unseren Plan­eten ret­ten wollen, so müssen wir anfan­gen, uns zu informieren und bewusst zu kon­sum­ieren. Allein die Ver­wen­dung von Nahrungsmit­teln und Holz aus nach­haltiger Land‐ und Forstwirtschaft sowie der Verzicht auf Palmöl kann Leben­sräume erhal­ten.

Der Einfluss von Tieren und Pflanzen

Neben dem Men­schen kön­nen auch Tier‐ und Pflanzenarten beträchtliche Schä­den in etablierten Ökosys­te­men anricht­en. Als blinde Pas­sagiere oder bewusst einge­bracht stellen Arten, die sich in einem frem­den Ökosys­tem ansiedeln (Neo­bio­ta), heutzu­tage eine große Gefahr für einzelne Arten und Ökosys­teme dar. Zwar ist die Aus­bre­itung in neue, angren­zende Leben­sräume natür­lich und hat in der Erdgeschichte schon unzäh­lige Male stattge­fun­den, jedoch ver­bre­it­en sich die Arten heutzu­tage über deut­lich größere Dis­tanzen und eigentlich unüber­wind­bare Bar­ri­eren, indem sie men­schengeschaf­fene Trans­port­mit­tel und -wege nutzen.

Die älteste nachgewiesene Ver­schlep­pung ein­er Art stellt der Din­go dar. Mit den ersten Ein­wohn­ern Aus­traliens gelangten Hunde auf den roten Kon­ti­nent und ver­drängten zahlre­iche ein­heimis­che Arten wie den heute aus­gestor­be­nen Beuteltiger und den Tas­man­is­chen Teufel. Anschließend hat­ten die heimis­chen Arten aber hun­derte von Jahren Zeit, sich an die neue Sit­u­a­tion zu gewöh­nen und ein neues Gle­ichgewicht herzustellen – bis der Inselkon­ti­nent neu ent­deckt wurde. Sei­ther wur­den durch den Men­schen erneut diverse Tiere einge­führt, einige bewusst aus­gewil­dert, andere entwischt­en und ver­wilderten. Infolgedessen sind heutzu­tage Kan­inchen, Kamele und Füchse auf Aus­tralien genau­so heimisch wie Kän­gu­rus, Koalas und Wom­bats. Doch die neuen Arten sind erhe­bliche Konkur­renten für die ursprüngliche Fau­na, sodass nun ver­sucht wird, sie wieder auszurot­ten. Dazu wurde beispiel­sweise ver­sucht, die Kan­inchen mit Myx­o­matose, der soge­nan­nten Hasen­pest, zu infizieren. 900 Mil­lio­nen Tiere veren­de­ten, 100 Mil­lio­nen über­lebten – und entwick­el­ten eine Resistenz gegen das Virus.

Carina T - ÖkosystemeDoch selb­st vor unser­er Haustür find­en wir einge­wan­derte Arten, die den ein­heimis­chen das Leben schw­er machen. Beson­dere Aufmerk­samkeit erregt dabei das Grauhörnchen, welch­es das in Europa heimis­che rote Eich­hörnchen immer mehr ver­drängt. Es ist in Bezug auf die Nahrung robuster und weniger wäh­lerisch. Zusät­zlich haben Grauhörnchen das Para­poxvirus eingeschleppt, an dem viele rote Eich­hörnchen zugrunde gehen. In Großbri­tan­nien wird deshalb Jagd auf die grauen Hörnchen gemacht. Inwiefern dieser Ret­tungsver­such erfol­gre­ich sein wird und ob den kon­ti­nen­taleu­ropäis­chen Eich­hörnchen auf ähn­liche Weise geholfen wer­den kann, wird sich zeigen.

Johanna G - Ökosysteme (Mandarinente Erpel)Nicht immer müssen Tiere getötet wer­den, um ihre weit­ere Ver­bre­itung zu ver­hin­dern: In der Eifel wur­den zum Beispiel Kanadis­che Biber einge­fan­gen, kas­tri­ert und wieder aus­gewil­dert. Und nicht immer schaden neue Arten anderen. So ist die Man­dari­nente als ein neu­traler Neuankömm­ling in der hiesi­gen Fau­na zu bew­erten, da sie eine unbe­set­zte Nis­che gefun­den und beset­zt hat und andere Arten nicht neg­a­tiv bee­in­flusst.

Bewusste Ansiedlung von Arten als Rettungsmaßnahme

Neo­bio­ta kön­nen in geschädigten Ökosys­te­men pos­i­tiv­en Ein­fluss haben. So besiedeln neue Pflanzenarten als Pio­niere unbe­wach­sene Hanglagen und schützen diese vor Ero­sio­nen. Auf neu ent­stande­nen vulka­nis­chen Inseln siedeln sich der Def­i­n­i­tion nach zuerst Neo­bio­ta an, um nach und nach ein ganz indi­vidu­elles Ökosys­tem aufzubauen. Eben­so kann sich der Men­sch den pos­i­tiv­en Ein­fluss der Ansied­lung von Arten in Gebi­eten, in denen sie nicht (mehr) vorkom­men, zu Nutze machen, um die Fehler, die er in früheren Jahren gemacht hat, wiedergutzu­machen und das Gle­ichgewicht im Ökosys­tem erneut zu sta­bil­isieren. Am sin­nvoll­sten sind Wieder­an­sied­lung­spro­jek­te von lokal aus­gestor­be­nen Arten, wie es beim Bart­geier derzeit erfol­gre­ich ver­sucht wird. Aber nicht immer kon­nte der Men­sch rechtzeit­ig seine Schä­den real­isieren und Arten ret­ten. Gegen 1800 wurde die endemis­chen Riesen­schild­kröte auf Mau­ri­tius (Gat­tung Cylin­draspis) aus­gerot­tet. Zusät­zlich beg­in­gen die Ein­wohn­er dort Raub­bau am Eben­holz Diospy­ros egret­tarum – eine Laub­bau­mart, die große Teile der Insel bedeck­te. Als diese Art kurz vor dem Ausster­ben stand, wur­den die Rodun­gen gestoppt, jedoch regener­ierte sich der Bestand selb­st nach 30 Jahren nicht. Abhil­fe schaffte im Jahre 2000 die Ansied­lung der Aldabra‐Riesenschildkröte (Aldabrachelys gigan­tea) als Ersatzart für die aus­gerot­teten Riesen­schild­kröten, da sich bei­de Arten in der Ernährung ähnel­ten. Das Eben­holz ist in sein­er Ver­mehrung auf die Schild­kröte angewiesen, welche die Samen frisst und mit dem Kot keim­reif wieder auss­chei­det – häu­fig deut­lich ent­fer­nt vom Auf­nah­me­ort, sodass sie zusät­zlich die Ver­bre­itung der Art unter­stützt. Da es sich um eine langsam wach­sende Bau­mart han­delt, ist ein Erfolg noch nicht hun­dert­prozentig abzuse­hen. Es beste­ht allerd­ings Hoff­nung, dass das Neo­zoon Aldabra‐Riesenschildkröte das Eben­holz und damit das Ökosys­tem auf Mau­ri­tius ret­tet.

Aber nicht alle Arten kön­nen erset­zt wer­den: Viele haben im Laufe der Evo­lu­tion so spezielle Nis­chen ein­genom­men, dass es keine aus­re­ichend ähn­liche Art gibt. Daher ist es umso wichtiger, dafür Sorge zu tra­gen, dass die Ökosys­teme sta­bil bleiben und keine weit­eren Arten durch men­schlich­es Zutun aus­gerot­tet wer­den.

Autor: Alex S.
Bilder: Alex S. (Flus­sufer), Alex S. (Rinder),
Cari­na T. (rotes Eich­hörnchen), Johan­na G. (Man­dari­nen­ten­er­pel)

erschienen in TierZeit Aus­gabe 9
24. August 2014

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