Die Domestikation und Züchtung des modernen Haushundes
Dass der Hund vom Wolf abstammt, ist bekannt. Wann und wie aus dem Wolf der beste Freund des Menschen wurde, ist noch heute Gegenstand der Forschung. Fakt ist aber, dass der Mensch im Laufe der Jahrhunderte durch gezielte Zuchtauswahl den Wolf stark veränderte. So entstanden alle unsere Haushunde, vom kleinsten Chihuahua bis hin zur größten Deutschen Dogge.
Es wird davon ausgegangen, dass Wölfe, die sich schon immer in der Nähe menschlicher Siedlungen aufhielten, den Schritt auf die Menschen zugingen und so ihre Domestikation zum Haushund einleiteten. Der Mensch duldete sie lange Zeit um sein Lager, wo sie sich von seinen Abfällen ernährten. Nach und nach lernten die Menschen weitere Eigenschaften zu schätzen, zum Beispiel das Warnen vor Gefahr. Es entstand eine Symbiose: Beide Arten profitierten von der Anwesenheit der anderen. Ein möglicher Grund für eine Intensivierung des Zusammenlebens könnte die Lagersäuberung und die Vorliebe für menschliche Exkremente gewesen sein, wie sie noch heute in Ostafrika beobachtet wird. Dort fressen Hunde nicht nur den Kot der Kleinkinder und Babies, sie ersetzen darüber hinaus Windeln, indem sie die Kinder sauber lecken. Außerdem dienen die Hunde als Spielgefährten. Weiter wird vermutet, dass erste Haushunde bei der Jagd halfen, Beute aufspürten und stellten.
1962 wurden in einer Höhle in Sibirien Knochen gefunden, die so gut erhalten waren, dass sie morphologisch eindeutig einem domestizierten Hund zugeordnet werden konnten. Mittels Radiokarbonanalyse war es dem Wissenschaftler Nikolai Ovodov und seinem Team möglich, zusätzlich das Alter der Überreste zu bestimmen. Das Tier lebte vor circa 33 000 Jahren. Es handelt sich dabei um den ältesten bisher bekannten Knochenfund. Dies lässt grobe Rückschlüsse darauf zu, wann der Hund domestiziert wurde. Die Domestikation und Veränderung des Wolfes zum Hund muss demnach vor mehr als 33 000 Jahren stattgefunden haben.
Wann genau die Domestikation begann, ist nicht vollständig geklärt und ob man es je genau ermitteln kann, ist unsicher. Mittels molekularbiologischer Uhr kann die Wissenschaft feststellen, wann sich Arten voneinander abspalten, womit sich der Beginn der Domestikation feststellen ließe. Allerdings ist diese Schätzung von verschiedenen Behauptungen abhängig. So ist die Veränderung der Fortpflanzungsaktivität irgendwann im Laufe der Domestikation problematisch. Während sich Wölfe streng saisonal einmal im Jahr fortpflanzen, werden moderne Hündinnen nicht nur rund ums Jahr läufig, sie können auch viel früher im Leben und bis zu zweimal im Jahr Nachwuchs aufziehen.
Molekularbiologische Studien sind aber nützlich, um den Ort der Domestikation einzugrenzen. Wissenschaftler um den Genetiker Robert Wayne untersuchten Gensequenzen von 225 Wölfen und 912 Hunden aus 85 Rassen. Sie stellten fest, dass Haushunde am engsten mit dem asiatischen Grauwolf aus dem Jordanland verwandt sind. Der Ursprung des Haushundes könnte also wie die Wiege der Menschheit im Mittleren Osten liegen.
Beim Vergleich zwischen dem Wolf und dem heutigen Haushund ist auffällig, dass die Domestikation den Hund optisch stark veränderte. Aber auch im Verhalten unterscheiden sich beide Caniden, da der Mensch den Hund zu seinem Nutzen formte. Hunde veränderten sich dahingehend, besser mit Menschen zu kommunizieren. Das wirkte sich negativ auf die innerartliche Kommunikation aus, wie die Hunde‐Ethologin Dorit Feddersen‐Peterson durch den Vergleich von Gehegeversuchen mit Wölfen und Schäferhunden feststellte. Auffällig ist außerdem das deutlich variablere Bellverhalten der Haushunde, das sie zur Kommunikation untereinander und mit dem Menschen nutzen. Dieses hat der Mensch sehr wahrscheinlich durch Selektion gefördert.
Die gezielte Zucht begann vor 3 000 bis 4 000 Jahren. Je nach Bedarf förderte der Mensch verschiedene Verhaltensweisen, die grob in zwei Kategorien fallen. Zum einen förderte der Mensch Teile des Jagdverhaltens. So wurden diverse Jagdhunderassen als Jagdhelfer geschaffen. Bei Hütehunden wurde ebenfalls das Jagdverhalten unterstützt: Das Umkreisen und Zusammentreiben von Vieh entspricht einer Sequenz aus dem Jagdverhalten von Wölfen. Bei Hof‐ und Schutzhunden förderte der Mensch die Ressourcen‐ und Revierverteidung der Hunde. In diese Kategorie fallen auch alle Herdenschutzhunde. Einzig die Gesellschaftshunde mussten keine derartige Aufgabe erfüllen, sie sollten in erster Linie einfach nur Gesellschaft leisten.
Alle unsere modernen Haushunde wurden für einen speziellen Zweck gezüchtet. Selten können Hunde in der modernen Gesellschaft aber noch ihren ursprünglichen Aufgaben nachgehen. Vielmehr werden sie heute als »Familienhunde« gehalten. Wenn der Border Collie die Kinder hütet oder der Weimaraner regelmäßig eine von Nachbars Katzen totschüttelt, stören die durch Zuchtwahl geförderten Verhaltensweisen. Daher ist es wichtig, sich bei der Wahl des neuen Gefährten intensiv mit seinem ursprünglichen Verwendungszweck zu befassen und später geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten neben dem Spazierengehen anzubieten.
Autor: Alex S.
Bilder: Alex S.
erschienen in TierZeit Ausgabe 11
14. Juni 2015